Lysistrada
Lysistrada

Geschichte

Der Verein

Als der Verein Lysistrada im Jahr 2000 gegründet wurde, waren seine Mitarbeiterinnen noch ausschliesslich auf dem Strassenstrich in Olten vor Ort. Hier hat die Fachstelle, die damals noch unter dem Namen »Verein Frauenbus Lysistrada« lief, ihre Vorgeschichte: Als Angebot der Gassenarbeit und später getragen von der Auffangstation Region Olten konnten sich die Frauen auf dem Strich seit 1994 in einem Bus mit Kondomen und sauberen Spritzen eindecken, sich bei einem Kaffee ausruhen und aufwärmen und Informationen zu gesundheitlichen und arbeitstechnischen Fragen erhalten. Die Schweizer Drogenpolitik der späten 90er-Jahre und die Regionalisierung der Suchthilfen im Kanton Solothurn führten dazu, dass einerseits die Anzahl der Frauen zurückging, die sich prostituierten, um ihre Drogensucht zu finanzieren, und andererseits die Auffangstation ihre Arbeit einstellte und der Bus nicht mehr über die Suchthilfe finanziert werden konnte. Der Strassenstrich in Olten war damals aber der längste der Schweiz – ein Angebot für die Sexarbeiterinnen tat daher weiterhin not. Der nun gegründete Verein setzte die Arbeit der Suchthilfe mit einem neuen Bus und zwei Angestellten fort. Die Kosten wurden zunächst vom Bundesamt für Gesundheit, später teilweise von der Stadt Olten gedeckt, daneben veranstaltete man Spendenanlässe.

Lysistrada Lysistrada

Der »Frauenbus« im Wandel der Zeit.


Im Jahr 2005 beschloss die Stadt Olten dann die Schliessung des Strassenstrichs und strich ihren Beitrag an Lysistrada aus dem Budget. Der Verein lancierte deswegen ein Projekt, im Rahmen dessen eine Ausdehnung des Angebots auf den gesamten Kanton Solothurn geprüft wurde. Inzwischen besuchen die Mitarbeiterinnen von Lysistrada neben dem Strassenstrich auch sämtliche Indoor-Lokalitäten (Etablissements, Cabarets, Saunaclubs) im Kanton Solothurn, in denen sexuelle Dienstleistungen angeboten werden. Und sie sind nicht mehr mit dem Bus unterwegs. Nach einer Pilotphase (2007–2009) wurde das Projekt extern evaluiert und in ein fixes Angebot überführt.

Lysistrada

Eine Karte im Büro von Lysistrada zeigt alle Etablissements (Stecknadeln) im Kanton.


Als Angebot für Sexarbeitende im ganzen Kanton konnte der nun ohne den Zusatz »Frauenbus« geführte Verein eine Leistungsvereinbarung mit dem Kanton erreichen, zunächst mit dem Gesundheitsamt, später auch mit dem Amt für soziale Sicherheit (ASO). Dieses ist seit einer Zusammenlegung der Verträge der bei weitem wichtigste und alleinige kantonale Geldgeber für die Fachstelle. Daneben ist Lysistrada aber weiterhin auf Spenden und Beiträge von Mitgliedern und Gemeinden angewiesen. (Die Stadt Olten beispielsweise unterstützt Lysistrada inzwischen wieder, nachdem der Strich sich nicht komplett verdrängen liess.)


Das Angebot

Die kantonale Ausrichtung und die Leistungsvereinbarung mit dem ASO zogen eine Erweiterung des Angebots nach sich: Während man zuvor im Gespräch mit den Frauen vor allem gesundheitliche Risiken thematisierte (der »Verein Frauenbus Lysistrada« war in den ersten Jahren vom Bundesamt für Gesundheit finanziert worden und noch heute ist man Mitglied des Projekts »APIS – Aidsprävention im Sexgewerbe« der Aidshilfe Schweiz) und auf rechtliche Fragen eher informell einging, sind Beratungen zu rechtlichen und sozialen Fragen inzwischen fester Bestandteil des Angebots von Lysistrada. Die verschiedenen Indoor-Lokalitäten mit ihren jeweils unterschiedlichen Bestimmungen und die sich momentan stark wandelnde Gesetzgebung auch im Bereich der Strassensexarbeit lassen die zunächst harzige Einarbeitung in das neue Themengebiet heute als grossen Gewinn für die Arbeit der Fachstelle erscheinen. Die Verunsicherungen, die bezüglich ihrer Rechte und Pflichten unter den Frauen herrschen, können durch gesicherte Informationen teils behoben werden; allerdings wird der Gesundheit vonseiten der Sexarbeitenden weniger Beachtung geschenkt, seit rechtliche Themen durch neue Regelungen und Gesetze in den Vordergrund gerückt sind.

 

Die Adressatinnen und Adressaten

Die Erweiterung des Angebots ist denn auch nicht allein auf die Veränderung des Auftrags von Lysistrada zurückzuführen. Geradeso hat sich das Bild gewandelt, das sich die Öffentlichkeit von »der« gefährdeten Sexarbeiterin macht, der eine Fachstelle wie Lysistrada zu helfen hat. »Opfer« waren Sexarbeitende ja bereits, als sie noch mehrheitlich aus der Schweiz stammten und der Prostitution nachgingen, um sich ihre Sucht zu finanzieren. Aus den Opfern der Drogensucht sind über die Jahre hinweg Opfer von Menschenhandel geworden. Auch, weil Drogenabhängige ihre Gesundheit zusätzlich gefährden und Menschenhandelsopfer sich in einer prekären rechtlichen Lage befinden, hat rechtliche Aufklärung gegenüber der gesundheitlichen an Bedeutung gewonnen. Damals wie heute allerdings wehrt sich Lysistrada dagegen, dass den Sexarbeitenden unter dem Label des »Opfers« ihre Selbstbestimmung grundsätzlich abgesprochen wird und die Verhältnisse durch ein Opfer-Täter-Schema vereinfacht werden. Einerseits arbeiteten und arbeiten noch immer die meisten Sexarbeitenden freiwillig in diesem Gewerbe, und das heisst: weil die ökonomischen Verhältnisse es erfordern; andererseits ist gerade die Bezeichnung »Menschenhandel« irreführend. Sie suggeriert, dass ausländische Sexarbeitende unter falschen Versprechungen von fremden, bösen Männern zum Beispiel in die Schweiz verschleppt und hier an Bordellbetreiber verkauft würden. Die Verstrickungen, in denen sich MigrantInnen, die im Sexgewerbe tätig sind, befinden, sind oft komplizierter als es dieser Begriff erscheinen lässt. Die »Täter« sind für die Sexarbeitenden häufig nicht zuerst Täter, sondern Verwandte, Freundinnen, Nachbarn in der Heimat, Liebhaber. Ausserdem weiss ein Grossteil der Frauen und Männer genau, als was sie arbeiten werden, wenn sie ihre Heimat verlassen. Die Bezeichnung »Opfer« und der Begriff »Menschenhandel« vereinfachen diese Problematiken.
Auch wenn sich die Hintergründe der Adressaten und Adressatinnen von Lysistrada seit der Vereinsgründung also gewandelt haben und Sexarbeitende heute mehrheitlich aus dem Ausland stammen, auch wenn rechtliche Fragen Prostituierte heute stärker beschäftigen als damals, und auch wenn sich an den äusseren Bedingungen vieles geändert hat: Lysistrada bleibt dem Grundsatz treu, Sexarbeitende in ihren unterschiedlichen Realitäten wahrzunehmen und ein differenziertes Bild der Sexarbeit in die Öffentlichkeit zu tragen.

 

Der Name

Benannt ist Lysistrada nach der Protagonistin einer Komödie des griechischen Dramatikers Aristophanes. Lysistrate fordert darin alle Frauen auf, ihren Männern den Beischlaf zu verwehren, um Griechenland nach 20 Jahren Krieg endlich zu befrieden. Schliesslich ist der Sex den Männern dann doch wichtiger als der Krieg. Das »D« im Namen von Lysistrada verweist auf den Ursprung des Vereins als Angebot für Frauen auf dem Oltner Strassenstrich, auf der ›Strada‹.

Lysistrada

Aubrey Beardsley: »Aristophanes’ Lysistrata« (1896); Lysistrata streckt ihrem Feind, dem Penis, einen Olivenzweig entgegen.